Ein toller Streich.

Eine lustige Geschichte von Paul Bliß.
in: „Dresdner fliegende Blätter” vom 07.04.1907


Rechtsanwalt Weber befand sich in großer Verlegenheit: er war durch gesellschaftliche Verbindungen dazu verpflichtet, ein Herren-Souper zu geben, und er hatte kein Geld.

Was nun beginnen?

Razlos lief er umher; kaum eine Frist von zehn Tagen blieb ijm noch!

Als er so mit Sorgen überladen am Schreibtisch saß, machte ihm sein jüngerer Bruder, ein lustiger Porträtmaler, einen Besuch.

„Aber, Fritz, was fehlt dir?” rief der junge Künstler.

Der Aeltere neigte sorgenschwer den Kopf und erzählte. UJnd der Jüngere zuckte bedenklich die Schultern und sagte: „Das ist allerdings fatal!”

Minutenlanges Schweigen und Nachdenken.

Endlich fragte Hans: „Wieviel Personen mußt du laden?”

„Zwanzig.”

„Nun, für die Speisen könnte ich Sorge tragen, wenn du jemand hast, der dir die Getränke auf Pump gibt, dann könnten wir die Sache vielleicht machen.”

Plötzlich ein erlösender Gedanke. „Richtig!” rief Fritz voll Freude, „dem Weinhändler Mohler habe ich einen Prozeß zu führen, der kann mir den Wein auf Borg liefern!”

„Na also, da ist dir ja geholfen! — Für die Speisen laß mich sorgen!”

„Aber woher willst du denn — ?”

„Du weißt, daß meine Wirtin Kochfrau ist und in den besten Häusern kocht, ich werde sie also bitten, mir die ganze Chose zu borgen.”

„Und wann — und wovon willst du es bezahlen?”

Da sagte der jüngere Bruder mit leicht verschmitztem Lächeln: „Ich bekomme da eben einen tollen Einfall!”

Fragend sah der Aeltere ihn an.

Und Hans sprach lächelnd: „Kennt mich einer von deinen Herren?”

„Soviel ich weiß, nein.”

„Nun gut, so werde ich an jenem Abend als dein Diener fungieren.”

„Und was bezweckst du damit?” fragte Fritz.

„Zweierlei! Erstens bekommen deine Bekannten einen guten Eindruck, wenn sie sehen, da0 du einen vornehmen Diener hast, und zweitens — des Trinkgeldes wegen.”

„Des Trinkgeldes wegen?”

„Ganz recht! Da alle feine Herren sind, wird mir jeder ein anständiges Trinkgeld geben, und davon kann ich den größten Teil der geborgten Speisen bezahlen,”

„Und du glaubst, daß ich den Ulk dulden werde?!”

„Wenn du klug bist, wirst du nichts dagegen einwenden können, denn der Einfall ist wirklich spaßhaft.”

„Aber wenn es herauskäme, bin ich blamiert für immer.”

„Es kann doch nicht herauskommen, denn ich bin keinem der Herren bekannt, außerdem gebe ich mir alle erdenkliche Mühe, meine Rolle meisterhaft zu spielen.”

Sie stritten noch ein wenig hin und her, aber endlich trug der Uebermut des Jüngeren den Sieg davon.

*           *           *

Der Festabend war da.

Die Junggesellenwohnung des Anwalts war anheimelnd eingerichtet, man merkte des Künstlers Hand, die es verstand, aus nichts etwas zu schaffen.

In der Küche waltete Frau Lehmann, die für diesen Abend gewonnene Kochfrau, Hans' Wirtin.

Und Hans selbst, der neue Diener, stolzierte in einem geborgten Livreerock umher und handhabte alles mit einer solchen Geschicklichkeit, als ob er sein Lebtag stets nur „in vornehmen Häusern serviert” hätte.

Nur einer lief mit bangem Herzen umher, — der Hausherr. Noch immer bebte er bei dem Gedanken, daß nicht alles glatt von statten gehen könnte.

Da ertönte die Türglocke. Die Gäste kamen. Nun Glück zu!

Fritz hieß die Klubgenosen willkommen. Und Hans waltete schweigend seines Amtes, geschicjt nahm er den Herren Ueberröcke und Hüte ab, und wa ihnen behilflich.

Der erste Schreck war überwunden, alles ging wie am Schnürchen.

Endlich waren alle Herren erschienen.

Das Essen begann.

Lachend und plaudernd bewunderte man das geschmackvolle Arrangement der Blumendekorationen.

Schweigend und mit ruhiger Eleganz servierte Hans. Nichts mißlang, alles ging so glänzend, wie es in vornehmen Häusern eben gehen muß.

Auch der Gastgeber war allmählich wieder Mensch geworden.

„Sie haben einen tadellosen Diener, lieber Kollege,” sagte der Nachbar zu Fritz, „fast möchte ich Ihnen den Kerl entführen.”

„Bedaure außerordentlich!” lächelte Fritz.

„Möchte ich Ihnen auch sehr verdenken,” rief das Gegenüber dazwischen, „solchen Griff tut mn nicht oft!”

Fritz saß wie auf Kohlen.

Draußen an der Portiere aber stand Hans, hörte jedes Wort und lachte heimlich.

Nach einer Stunde war das Souper beendet, und man saß rauchend und plaudernd beim Kaffee. Den Diener benötigte man nicht mehr, weil man unter sich sein wollte.

Nun saß Hans in der Küche bei Frau Lehmann.

Es schmeckte ihm prächtig! Das Servieren all der leckeren Gerichte hatte ihm Appetit gemacht.

Natürlich sprach er auch den Weinen kräftig zu, und trank ein Glas nach dem andern, alle verschiedene Sachen durcheinander.

Endlich sagte Frau Lehmann voll Besorgnis: „Jetzt hören Sie aber auf! Sie sind ja schon ganz angeheitert.”

„Ich angeheitert? O, teure Herbergsmutter, du ahnst es nicht! Ich kann unendlich viel vertragen!” scherzte er.

Plötzlich ertönte die elektrische Glocke. Sofort begann Hans sich seiner Rolle zu besinnen. Er sprang auf und ging hinein..

Die Gesellschaft war in heiterster Stimmung. Der Wein und die schweren Zigarren hatten ihre Wirkung getan.

Vor Hans drehte sich alles im Kreise — immer herum, herum im wilden Taumel — die Kronen, die Bilder — immer bunt durcheinander. Kramofhaft hielt er sich fest am Rahmen der Tür.

„Bring' ein Glas frisches Wasser,” rief Fritz ihm zu.

Der aber stand da wie angewurzelt und starrte in das helle Zimmer hinein. Alles tanzte vor seinen Augen.

Plötzlich lachten alle.

In Hans kochte es. Er wurde purpurrot und bebte am ganzen Körper.

„So geh' schon,&rduo; rief Fritz etwas unwillig.

Aber Hans stand wie angenagelt. Er konnte kein Wort erwidern. Er hatte das Gefühl: laß ich die Tür los, dann stürz' ich hin.

„Der Kerl ist ja betrunken!” schrie jetzt jemand, und lachend stimmten die anderen ein.

Bleich sprang Fritz auf und führte Hans hinaus.

Sofort übersah er die Situation. Anfangs wollte er Lärm schlagen, aber als Hans selig entschlummert niedersank, lächelte er und tröstete sich damit: es war eben ein Reinfall!

Eine halbe Stunde später empfahlen sich die Herren, bedankten sich bestens, versicherten, daß sie sich großartig unterhalten hätten, und im stillen freute sich ein jeder, daß er jetzt kein Trinkgeld zu zahlen brauchte, weil kein Diener mehr zu sehen war.

Am andern Morgen, als Hans wieder Mensch war, trat Fritz zu ihm ans Bett.

„Das hast du wieder mal recht nett gemacht,” lachte er.

Nach und nach besann sich auch Hans auf alles, und voll leiser Beschämung lachte nun auch er.

„Der verdammte Durst,” das war seine einzige Entschuldigung.

Aber jetzt kam die größte Sorge: wovon nun bezahlen?

Doch nun wurde Hans energisch: Stolz sagte er: „Ich habe dich reingeritten, also werd' ich dich auch wieder rausreißen.”

Dann ging er zum Kommerzienrat Müller, den er porträtierte, erbat sich einen Vorschuß und davon deckten sie die Schuld.

So nahm auch dieser tolle Streich ein gutes Ende.

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